ICH BIN DUNKEL, ABER SCHÖN
Ronald Kodritsch | Posted on |
ICH BIN DUNKEL, ABER SCHÖN
Zu: Ronald Kodritsch, NEUE HAUT FÜR DAS ALTE FEUER (Affenkopfmadonna), 2012/2015
Michael Braunsteiner
Kennen Sie den verrückten Dr. White? Was trieb er dereinst so, angeblich sogar vom Heiligen Vater dazu ermuntert? „In den USA bereitet der Neurochirurg Robert J. White die erste Transplantation eines menschlichen Kopfes vor. Möglicher Termin der Gruseltat: 1977.“
Das ist eine Weile her. Könnte das so in „Der Spiegel“ 44/1976 gestanden haben? Das lässt sich nachprüfen. Das Dr. White sein Vorhaben nicht in die Realität umgesetzt hat, das ist sicher. Sonst wüssten wir’s. Doch lassen Sie mich einfach einmal behaupten: In seiner Pension erregte der Hirnchirurg, der übrigens mit vollem Namen Robert J. White hieß, weiter Aufsehen mit seinen Experimenten zur Transplantation von Köpfen. Er hielt isolierte Affenhirne am Leben. Die Augen baumelten an herausgeschälten Hirnen und reagierten auf Lichtreize. Er versetzte auch einen Affenkopf von einem Körper auf den anderen.
Sie glauben es nicht? Lesen Sie’s nach! http://www.zeit.de/2001/15/Die_Traeume_des_Dr_White
Wien 2012. Ronald Kodritsch transplantiert erstmals einen Affenschädel auf einen Madonnenkörper. Oder hat er einen Madonnenkörper unter einen Affenschädel transplantiert? Egal. Die Skulptur lebt, wohl nicht zuletzt, weil ihr Schöpfer diese „Affenkopfmadonna“ mit magischen Zu-Worten behaucht hat: „Neue Haut für altes Feuer“!
Sphingen, Sirenen, Satyren, Chimären, Greife, Harpyen, Basilisken und Kentauren, dort ein Pegasus, da ein Einhorn, irgendwo das Nasobem, ein Cyborg, Gozilla auch, sogar Hybrid-Autos – und die Affenkopfmadonna!
Die „Affenkopfmadonna“: Den unteren Teil bildet der Prototyp einer schlanken Lourdes-Muttergottes, wie man ihn aus dem Devotionalienhandel kennt. Die Muttergottes steht auf einem Sockel. Der Totenschädel eines Affen bildet den Kopf. Der schmalschulterige schlanke Körper trägt ein langes Kleid mit harmonisch fallenden Gewandfalten. Die Hände sind vor der Brust zum Gebet gefaltet. Über einen der beiden Unterarme hängt ein langer Rosenkranz. Der Affenschädel ist im Verhältnis zum Corpus der Muttergottes übergroß und ausladend breit mit riesigen Augenhöhlen, tiefer Nasenhöhle und auffallend fliehender Stirn. Der Oberkiefer tritt weit hervor. Der Unterkiefer fehlt.
Die Skulptur existiert bislang in zwei Ausführungen: a) Ausführung 2012 in Form eines ungefassten, kleinen Bronzegusses mit fein hervor gearbeiteten Details, Höhe 25 cm; b) Ausführung 2015 als monumentale Großskulptur, aus Epoxidharz gegossen, mit glänzender schwarzer Oberfläche und deutlich vergröberten Formen, Höhe 260 cm.
Dieser kombinatorische Skulpturentypus fügt sich in den seit dem Altertum in immer neuen Variationen vorkommenden Themenkreis der Mischwesen ein. In der Antike glaubte die Mehrheit der Menschen an die reale Existenz dieser Wesen. Und im Mittelalter glaubte man an alles Benennbare, so an Drachen und Chimären. Das Tierbuch Physiologus aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. oder Werke des Phantastischen wie von Solinus aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. waren noch in der Romanik und Gotik populär. Und von der Renaissance bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts wurde heftig über die Groteske, die Vereinigung von scheinbar Unvereinbarem in Form ornamentaler Verzierungen und Mischwesen, gestritten. Dabei berief man sich auf gewichtige Vorstreiter in der Antike. Bereits zu dieser Zeit gab es Kritik gegenüber allem, was nicht naturgetreu war, wie jene des römischen Architekten Vitruv (1. Jahrhundert v. Chr) in seiner Abhandlung „De architectura“. Der römische Dichter Horaz (65-8 v. Chr.) hingegen setzte sich in seiner „Ars Poetica“ für die Freiheit der Kunst ein. Und vor mehr als 500 Jahren setzte ein gewisser Hieronymus Bosch einen bis heute wirkenden Markstein, was die Darstellung des Phantastischen, des Visionären, der Mischwesen anbelangt. Er reicht herauf bis zu den Phantasiewesen in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.
Diese Mischwesen wurden in ihrer jeweiligen Entstehungszeit und in ihrem spezifischen kulturellen Umfeld aus den unterschiedlichsten Gründen geschaffen und in diverseste Bedeutungskontexte gestellt. Ebenso unterschiedlich wurden und werden sie von ihren jeweiligen Rezipienten auch gesehen und interpretiert. Waren für Mischwesen in früheren Perioden magische, mythologische und religiöse Aspekte maßgeblich, so dominieren in jüngerer und jüngster Zeit etwa jene der Komik und Satire, der Karikatur, der Ideologie, der Wissenschaft, der Kunsttheorie.
Die „Affenkopfmadonna“ von Ronald Kodritsch evoziert eine ganze Reihe von Assoziationen in uns. Wir sehen in ihr, was wir kennen, wissen, fühlen, womit wir uns gerade beschäftigen. In höllen-, hexen- und dämonengläubigen Menschen früherer Perioden oder in anderen heutigen Glaubens- und Kulturkreisen hätte dieses Wesen Grauen und Panik ausgelöst. Seit der Aufklärung haben in unserer Kultur ursprünglich abschreckend konzipierte Kunstwerke einen völligen Bedeutungswandel vollzogen. Früher dienten Chimären dazu, Gläubige auf dem rechten Weg zu halten. Gerade das Schreckliche, das Ungeheure, das Böse, fasziniert uns nun. Besonders tut es das in der Film-Produktion, in Comics, in Videospielen, in unseren untergründigsten Leidenschaften. Das Grauen ist geradezu zum Wirtschaftsfaktor geworden. Die Ideale von gestern, das Brave, Reine, Himmlische und makellos Schöne, langweilt viele von uns zu Tode. Die Magie des Skurrilen, Bizarren, Abartigen hat weite Teile der Menschheit fest im Griff.
Zurück zum konkreten Fall „Affenkopfmadonna“. In unserer von Mischwesen dicht bevölkerten massenmedialen Gegenwart dominieren Bilder von Aliens aus der Science-Fiction-Industrie. Aus heutiger Sicht ist es nahezu unmöglich, diesen skurril auf dem Körper Marias sitzenden Affenkopf mit seinen hervor ragenden Zähnen nicht mit den Schöpfungen von H. R. Giger in Verbindung zu bringen. Ebenso drängen sich uns Heutemenschen bei dieser Skulptur höchstens Ängste auf, die mit den Entwicklungen auf dem Gebiet der Gentechnik im Wissenschaftsbereich zu tun haben. Ein Einzelner wiederum, der sich gerade mit der französischen Revolution befasst, wird bei der geköpften Madonna an die Zeit der Guillotinierungen, an die Vernichtung des Ständesystems und vielleicht auch an den Zustand der Kirche denken. Gläubigen Katholiken wiederum kommen bei der Muttergottes vollbrachte oder geplante Pilgerreisen nach Lourdes, Medjugore, Fatima in den Sinn. Und wer den Begriff „Madonna“ googelt, der bekommt … alles andere als eine Muttergottes zu sehen. Was denn??? „Österreichs bestes Frauen-Portal - Fashion, Star-Style, Beauty, Gesund, Shopping, Gewinnspiele, Horoskop – Ihr täglicher MADONNA-Blog:“ Und das (mit Stand März 2016, Standort Österreich) an erster Stelle? Und danach? Uuups. Wir leben in sehr, sehr profanen Zeiten.
Beauty. Schönheit. Ob Ronald Kodritsch bei seiner Schöpfung an die „Schönen Madonnen“ gedacht hat? Das ist ein kunstwissenschaftlicher Fachausdruck für stehende Madonnenplastiken, die in einem gewissen Stil zu einer gewissen Zeit entstanden sind. Sie sind wundervoll, diese „Schönen Madonnen“. Sie alle sind im bereits 1380 ausgebildeten sogenannten „weichen Stil“ gemacht. Und sie entstanden fast während des gesamten 15. Jahrhunderts. Die „Affenkopfmadonna“ von Ronald Kodritsch in Bronze hat zweifelsohne eine eigenwillige Schönheit. Aber da gibt es auch noch seine etwas spätere klobige schwarze „Affenkopfmadonna“. Die soll auch schön sein? Seltsam! Parallel dazu gibt es ja das noch nicht vollständig erforschte Phänomen der „Schwarzen Madonnen“. Das sind Madonnendarstellungen mit schwarzem Gesicht (das ja wie zum Trotze gerade die Affenkopfmadonna nicht hat, sei‘s drum). Sie kommen seit der Romanik und besonders häufig in Frankreich vor. Weitläufig bekannt ist die „Schwarze Madonna von Częstochowa“.
Im vorliegenden Zusammenhang erwähnenswert erscheinen zwei Hypothesen über deren Herkunft. Die eine beruft sich auf das Hohenlied, in dem es heißt: „Ich bin dunkel, aber schön“ (Hld 1,5 EU). Die entsprechende Stelle in der Vulgata lautet: „Nigra sum sed formosa“. Schön, nicht? (Wenn man dabei an die Kodritsch’e schwarze Affenkopfmadonna denkt!) Einige Schwarze Madonnen tragen dieses allerdings vielleicht erst später hinzu gefügte Zitat als Inschrift. Die andere Hypothese aus dem 20. Jahrhundert sieht in antiken schwarzen Göttinnen etwaige Vorläuferinnen der christlichen Schwarzen Madonna und sieht sie, wie generell den Marienkult, somit in jahrtausendealter Tradition stehend. Da wird es abermals interessant.
Die „Affenkopfmadonna“ hat ihre Wurzeln ebenfalls in jener vorgeschichtlichen Zeit, aus der uns die ersten figuralen Darstellungen von Göttinnen überliefert sind. In der letzten Eiszeit sind sie entstanden, jene fettleibigen Frauenstatuetten mit ihren mächtige Gesäßen und riesigen Brüsten, auf denen nicht selten die Arme ruhen. Die Herrinnen über Mensch und Tier, über Leben und Tod wie die Venus von Dolni Věstonice, die Venus von Willendorf , die Venus von Laussel – wie viele andere ihrer Schwestern bezeichnender Weise mit „gesichtslosen“ oder ungegliederten Köpfen oder mit in einen Zapfen auslaufenden Oberkörper. Freilich ist der Weg und Wandel von ihnen bis zu den mittelalterlichen und neuzeitlichen Madonnen, und bis zur „Affenkopfmadonna“, ein weiter. Kybele, Astarte, Isis, Ischtar, Artemis, Demeter, Ceres, Freya – sie und viele auch namenlose andere machen ihn nachvollziehbar.
Aus einer anderen Perspektive betrachtet tritt bei dieser Hybrid-Skulptur klar der synkretistische religiöse Aspekt in den Vordergrund. Kodritsch interessiert sich für afrikanische Fetische und hat auch einige in seiner Sammlung. Vor diesem Hintergrund kann seine Madonna mit dem Affenschädel als Ergebnis einer Überschneidung des Voodoo Glaubens mit der christlichen Religion gedeutet werden. Nicht zufällig wird die Muttergottes mit einem der weiblichen Geistwesen oder Göttinnen (sogenannten Loa’s) des Voodoo Glaubens assoziiert, und zwar mit der Loa Erzulie. Sie steht unter anderem für Liebe, Weiblichkeit, Schönheit und Leidenschaft. Für jeden Loa gibt es ein graphisches Symbol, Veve genannt, welches diesen in einem Ritual repräsentiert. Das Veve für Erzulie enthält ein von einem Schwert durchbohrtes Herz, wie es auch in der christlichen Symbolik für Maria steht. Diese auf den ersten Blick erstaunlichen Parallelen haben ihren Ursprung in der Christianisierung alter Stammeskulturen in der Vergangenheit.
Nicht zuletzt lässt sie sich auch im Assoziationskreis des Weltunterganges, der „Apokalyptischen Frau“, der anfänglich erwähnten, teils kirchlich anerkannten, teils obskuren Marienerscheinungen, -offenbarungen und -prophezeiungen betrachten. Besonders in ihrer schwarzen Version, die irgendwo zwischen Erinnerungen an den „schwarzen Tod“ und Pestärzte mit Vogelköpfen, Brandkatastrophen und Höllenvisionen, Ganzkörperlatexanzug und Schutzkleidung mit Stahlhelm liegt, werden Gedanken an Epidemien, Krieg und Zerstörung wach, an von Napalm oder Atombomben verbrannte Körper, an Selbstverbrennungen und an die Ölpest, an Sodom und Gommorha, an Weltenbrand, Apokalypse und Fegefeuer, darüber hinaus natürlich auch an Hoffnung und Erlösung.
Allein durch den Totenschädel steckt in dieser Skulptur ebenso auch eine Menge an Vanitas-Symbolik und an kunsthistorischen Reminiszenzen. Man könnte sogar so weit gehen, das ewige und aktuelle Thema Xenophobie, die Angst vor dem Fremden, aus ihr heraus zu lesen. Hoc et plus – however!
Dieses kombinatorische Spiel mit Vergangenheit und Aktualität, Religion und Mythos, Objektivierung und Subjektivierung, Form und Inhalt interessiert Ronald Kodritsch im vorliegenden Fall. Die mittels Verdichtungen und Verschiebungen von Traum-, Ahnungs-, Wissens- und Assoziationsebenen konzipierte Affenkopfmadonna gibt Rätsel auf. Sie gibt keine eindeutigen Antworten, sondern regt den Rezipienten dazu an, sich auf fundamentale Fragen einzulassen. Sie hat etwas Magisches. Sowohl Ihr Inhalt als auch ihre ruhende, von Symmetrie und schlanker Statik bestimmte formale Komposition machen sie als aus dem Repertoire zahlreicher Ahnen schöpfendes, originäres Hybridgeschöpf über ihren bloßen Kunstcharakter hinaus zu einem Andachtsbild, zu einem Fetisch. Symptomatisch bringt dieses Werk auch zum Ausdruck, wie sich der moderne Mensch aus verschiedenen Zutaten sein Weltbild, somit auch seine Religion mixt.
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