Roam Grabner – “THE FAIRY BASTARD’S MASTER-STROKE“ (Deutsch)

Roam Grabner - "THE FAIRY BASTARD’S MASTER-STROKE“ (Deutsch)

Die Welt ist im Umbruch. Konfliktsituationen wohin das Auge reicht. Neue Imperialismen treffen auf alte
Feindschaften, alte Rassismen auf neue Gefolgschaften. Naturkatastrophen verheeren ganze Landstriche,
eine obskure Angst vor dem Terror scheint die Gesellschaft fest im Griff zu haben und seit kurzem
erschüttert ein neuer Virus das Fundament unserer neoliberalen Gesellschaften. Und was macht Ronald
Kodritsch? Er malt Blumen! Bunt, brillant, belanglos.
Was könnte wohl nutzloser sein als Blumenbilder? Sie sind der Gipfel der Dekadenz, verweigern sich den
politischen Entwicklungen ihrer Zeit, repräsentieren unverhohlen den Luxus, und frönen einer l'art pour
l'art. Ihre Blüte entfalteten Blumenstillleben im Holland des 17. Jahrhunderts, als das Land im
wirtschaftlichen Überfluss schwelgte. Man lebte und malte als gäbe es kein Morgen, bis der Krieg ausbrach,
die Niederländer die Dämme brachen und ihr eigenes Land fluteten. Die Wirtschaft brach zusammen, viele
Künstler gingen bankrott.
Ist das üppig-florale Stillleben das Menetekel eines kommenden Unheils? Ist die Feier des Apolitischen die
Kritik an der Apathie unserer Gesellschaft? Oder malt Kodritsch diese Bilder, weil kein zeitgenössischer
Künstler ernsthaft Blumenstillleben malen darf? Der alte Monet hebt skeptisch eine Augenbraue, Sigmar
Polke zuckt mit den Schultern und durch ein trübes Fenster sieht man das Augurenlächeln Richard Dadds.
Ronald Kodritsch, der selbsternannte Elfen-Bastard, hat wieder zugeschlagen und mit meisterlichem
Pinselstrich eine neue Werkserie geschaffen, bei der er wieder einmal nicht mit Ironie und Ingenium spart.
Er hat sich der Hobby- und Sonntagsmaler liebstem Motiv angenommen und eine Serie von
Blumenstillleben gemalt, die zwischen Kitsch und Avantgarde, Romantik und Abstraktion, Appropriation
und Originalität oszillieren.
Ausgehend von Richard Dadds enigmatischem Hauptwerk „The Fairy Feller's Master-Stroke“ hat er sich
weniger die Elfen in dessen Gemälde zum Vorbild genommen, was man ihm ebenfalls zutrauen würde, als
vielmehr Gänseblümchen, die der britische Solitär so rätselhaft in das Bildgeschehen eingebettet hat. Das
Gemälde zeigt den Förster Fairy Feller umgeben von diversen Bewohnern des Elfenreichs, wie er gerade
dabei ist, mit einer Axt eine große Kastanie zu spalten, aus der die Kutsche der Königin Mab gefertigt
werden soll. Dadd vermeidet jegliche Perspektive und gelangt dadurch zu einer Flächigkeit, die als ein
wesentliches Kennzeichen der Moderne über ihre Zeit hinausweist. Die durch die Vorstellung, dass Elfen ein
„kleines Volk“ seien, bedingte Diskontinuität der Größenverhältnisse, hebt die erwähnten Gänseblümchen
monumental ins Bildgeschehen.
Dadd war ein höchst talentierter junger Maler, der nach einer längeren Reise in den Orient unter
paranoiden Wahnvorstellungen zu leiden begann. Er war überzeugt davon, dass er dem altägyptischen
Totengott Osiris ausgeliefert sei, dessen Stimme er zu hören vermeinte. Zur Katastrophe kam es, als er
1843 in einem Wahnanfall seinen Vater in dem Bewusstsein ersticht, dass es sich bei ihm um den
maskierten Teufel handelte. Er flieht nach Frankreich, attackiert auf seiner Flucht einen weiteren
Mitreisenden und kommt für einige Monate ins Gefängnis. Er wird in die staatliche Anstalt für
geisteskranke Rechtsbrecher in Bethlem eingeliefert, wo er sich weiterhin seiner Malerei widmen darf und
neun Jahre lang an dem titelgebenden Bild arbeitet, das dennoch unvollendet bleibt, da er nach Broadmoor
verlegt wird.
Dadd hat zu seinem Gemälde ein langes und ausschweifendes Gedicht mit dem Titel „Elimination of a
Picture and Its Subject“ geschrieben, in dem er seinem Bild trotz seines Detailreichtums und seines
Symbolismus im Wesentlichen jede Bedeutung abspricht. Es endet mit der Feststellung: „You can afford to
let this go; For nought is nothing it explains; And nothing from nothing gains.“ Man könnte diese
Aufforderung, dass Bild Bild sein zu lassen und nicht weiter darüber nachzudenken, da es null und nichtig
ist und daher auch nichts erklärt bzw. nichts erklären kann, auch auf die Blumenbilder Kodritschs umlegen
und die Auseinandersetzung mit seinen neuesten Werken damit bewenden lassen. Es ist, was es ist. Bereits

Platon hat festgestellt: Frage Bilder etwas und sie antworten nicht. Doch Plato hat auch über das Bild als
Trugbild, als Täuschung gesprochen und der Elfen-Bastard Kodritsch ist bekannt dafür zu täuschen, tricksen
und in die Irre zu führen. Warum also hat Kodritsch begonnen, Blumenbilder zu malen?
Es wirkt noch immer wie eine Provokation, wenn ein zeitgenössischer Künstler, der einen gewissen
Anspruch an sein Werk stellt, sich auf ein vordergründig so seichtes Terrain wie das Blumenstillleben
begibt. Kodritsch hat von jeher die etablierten Normen des Geschmacks und die tradierten Parameter des
Kunstwürdigen herausgefordert und die festgelegten Konventionen, was als Kunst zu gelten hat, in Frage
gestellt. Es ist der Hang zum Banalen, die Lust am Dekorativen, das Spiel mit dem Kitsch, die
Auseinandersetzung mit malerischen Traditionen, aber auch die Kontrastierung von Schönem und
Hässlichem, die sich in seinen neuesten Werken (wieder) manifestieren. Man muss den Künstler mit so
herausragenden Persönlichkeiten wie Francis Picabia zusammendenken, der 1921 seinen Rückzug aus der
von ihm begründeten Dada-Bewegung erklärt hat, um im Jahr darauf eine Serie von Spanierinnen
auszustellen, die er im Stil aquarellierter Klischeebilder von Sonntagsmalern angefertigt hat. Es geht dabei
nicht nur um die humorvolle Unterminierung der Erwartungshaltungen, die ironische Befragung der
Grenzen von E-Kunst und U-Kunst oder die schelmische Unterbietung der Standards des guten
Geschmacks, sondern auch die hemmungslose Lust an der Malerei und eine freche Reflexion der
kunsthistorischen Traditionen. Picabia hat von seinen Bildern als der „schönstmöglichen schwachsinnigen
Malerei“ gesprochen. In den darin zum Ausdruck kommenden Qualitäten der Selbstironie, des
Understatements und des Selbstbewusstseins als Künstler liegt auch ein wesentlicher Kern von Kodritschs
Kunst. Kodritsch stellt sich mit seiner neuen Serie natürlich auch in eine lange und große Tradition der
Malereigeschichte.
„Das Leben des Menschen ist wie eine Blume“, war um 1600, im sogenannten Goldenen Zeitalter der
niederländischen Malerei, eine geläufige Redensart. „In den Blumenstillleben des 17. Jahrhunderts ist der
Gedanke der Vergänglichkeit stets präsent, wenn auch zunächst die oberflächliche Schönheit sowie der
repräsentative Charakter der Blumen und Sträuße fasziniert. Nicht selten verweisen die Blumen auf die
Begrenztheit des Daseins, auf die Nichtigkeit und Vergänglichkeit irdischer Pracht. Der sich ständig
verändernde Zustand der Blumen und Früchte auf den Bildern führt fast zwangsläufig die Veränderungen
irdischen Seins vor Augen.“ 1 Die Wiener Blumenmalerei des Biedermeier bezieht sich explizit auf jenes
historische Phänomen, vernachlässigte jedoch den Symbolgehalt der unterschiedlichen Blumen, Früchte
und Insekten und sucht stattdessen eine Wirklichkeit abzubilden, die es de facto nicht gab, die konstruiert
und inszeniert war. Was wie das realistische Abbild eines Blumenstraußes aussieht ist in realiter ein so
künstliches wie künstlerisches Arrangement nach Blumenabbildungen. Die Künstlichkeit der Darstellung
scheint auf die Konstruktion der gesellschaftlichen Ordnung zu verweisen, denn obgleich das Biedermeier
eine relative friedvolle Zeit war, war es auch ein Zeitalter der Überwachung, der Bevormundung und der
wirtschaftlichen Not. Kodritsch beginnt seine Blumenbilder just in dem Moment zu malen, als in den
mitteleuropäischen Feuilletons wieder von einem neuen Biedermeier zu lesen ist. Zufall?
Die Blumenmalerei des Biedermeier führt in Österreich in den Stimmungsimpressionismus eines Emil Jakob
Schindler mit herausragenden Protagonistinnen wie Marie Egner und Olga Wisinger-Florian, die wiederum
die Basis für die Landschafts- und Blumenbilder von Gustav Klimt bilden. Kodritsch hat in Anspielung auf
Spike Jonze‘s Film „Being John Malkovich“ einige seiner Blumenbilder als „Being Ronald Klimtovich“
betitelt. Klimt wandte sich ab 1907 der nahsichtigen Darstellung von Bauerngärten und Blumen zu,
während er zuvor den Blick über Wiesen schweifen ließ und die einzelnen Blüten als Farbflecken darstellte.
Sein später Stil ist charakterisiert von einem pastosen, pointilistischen Pinselstrich, leuchtenden Farben und
einer „flatness“ und Offenheit, die auf kommende Generationen voraushinweisen. Den Überlieferungen
zufolge hat er rund 50 Skizzenbücher besessen, die jedoch im Zweiten Weltkrieg alle bis auf drei vernichtet
wurden. Im letzten Skizzenbuch des Künstlers, das von Juni 1917 bis Jänner 1918 datiert, sieht man schnell

___________________________

1 Gerhard Graulich, Erinnerung, Schönheit, Vergänglichkeit. Aspekte des niederländischen Blumenstilllebens im 17.
Jahrhundert. In: Blumenstück - Künstlers Glück. Vom Praradiesgärtlein zur Prilblume. Ausst.-Kat. Museum Morsbroich
Leverkusen. Leverkusen 2005, S. 13-17, 17.

hingeworfenen Zeichnungen von unterschiedlichen Blüten mit Farbanmerkungen. Kodritsch scheint diese
Skizzen weiterzudenken und vor allem fertig zu malen, nur dass das Motiv Bauerngarten oder Blumenwiese
zu einem Wahrnehmungsexperiment reiner Farbigkeit wird. Auch Richard Dadds Gemälde „The Fairy
Feller's Master-Stroke“ schöpft aus der Vergangenheit und weist in die Zukunft. Es birgt die botanische
Genauigkeit eines Albrecht Dürers, den kleinteiligen Figurenkosmos eines Pieter Brueghels und weist
voraus auf das Allover eines Jackson Pollock.
Wie jedes Gemälde spiegeln auch Blumenbilder ihre jeweilige historische und gesellschaftliche
Entstehungszeit. Sie fungieren als Porträts der Epoche, der Auftraggeber und nicht zuletzt der Künstler,
ohne dabei den anthropomorphen Gehalt von Blumendarstellungen wie denen von Klimt oder Schiele
überzustrapazieren. Kodritsch hat ausgehend von seinen Huldigungen an die Flora und die
Malereigeschichte auch neue Porträts angefertigt und eine neue Serie von Bastarden gemalt, die er in
Analogie zur Entstehungszeit von Dadds Masterpiece mit barocken und viktorianischen Frisuren
ausgestattet hat.
Bastards sind seit ihrer ersten Konzeption um 2004 zum geheimen Markenzeichen und wohl auch größten
Erfolg des Künstlers geworden. In unvergleichlicher Weise hat er der Alltagsweisheit „wie ein Hund so sein
Herrchen“ zu kongenialen Bildfindungen verholfen. Die Charaktere, die uns aus diesen Hundeporträts
entgegenblicken sind so eindrücklich wie vielschichtig und geben mehr von der menschlichen Seele preis,
als wenn er Menschen selbst porträtiert hätte. Und natürlich wird hier auch ein Einblick in den Urgrund und
Abgrund der Liebesbeziehung zwischen Hund und Herrchen offenbar. Bastards sind nicht nur
Charakterköpfe par excellence, bei denen die Hunde eine Stellvertreterfunktion für den Menschen
einnehmen, sie sind auch im Stil klassischer Porträts gemalt. Die barocke Haarpracht, die eine gewissen
Noblesse und Ehrwürdigkeit suggeriert, die klassische Ikonographie des Brustbildes, die eine lange
kunsthistorische Tradition evoziert und das Sujet der vermenschlichten Hunde zeigen nicht nur eine
profunde Kenntnis der Kunst- und Kulturgeschichte, sondern auch des Künstlers beißenden Spott an
elitären gesellschaftlichen Konventionen und Ritualen.
Die Brücke zu den Blumenbilder ist wohl in der Person Léonard-Alexis Autiés zu suchen, dem Hoffriseur von
Marie Antoinette, der berühmt war für seine extravaganten Perückengestaltungen. Seine fantastischen
Kreationen umfassten Perücken mit Gesträuchen, Blumenbeeten und Vogelnestern. Das Barock wird
bekanntlich auch „Zopfzeit“ genannt, weil nicht nur Frauen, sondern auch Männer in dieser Epoche
Perücken trugen. Die künstliche Haarpracht war ein wichtiges Standeszeichen und fester Bestandteil der
höfischen Kultur. Eine Staatsperücke wie die Allongeperücke war jedoch nicht nur Statussymbol, sondern
half auch körperliche Mängel wie Haarausfall oder eine kleine Statur zu verbergen. Glatzen standen für
Alter, Krankheit und Verfall und eine lange und dichte Haartracht im Gegenzug als Zeichen von Vitalität und
stetig erneuernder Lebenskraft. Die hohe Perücke zwang die Inhaber zudem zu einem ruhigen und
aufrechten Gang und so war das Auftreten der Frauen und Männer am Hof und später auch des
Bürgertums im 17. und 18. Jahrhundert von hoher Künstlichkeit geprägt.
Die barocken Bastarde führen Selbstrepräsentation, Narzissmus, Schönheitsvorstellungen und
Künstlichkeiten aller Art vor und geben sie der Lächerlichkeit preis. Sie zeigen den Künstler einmal mehr als
genauen Beobachter der Gesellschaft, als klugen Pasticheur der Kunstgeschichte, als lustvollen Maler auf
der Höhe seiner Zeit. Wir warten gespannt auf die Fortsetzung von „Being Ronald Klimtovich“.

Roman Grabner, 2020