Angela Stief – “Mit dem Pinsel zaubern oder Haunted by Ghosts” (Deutsch)

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Ronald Kodritsch "Mit dem Pinsel zaubern oder Haunted by Ghosts"
Von Angela Stief

 

Und laß dir rathen, habe
Die Sonne nicht zu lieb und nicht die Sterne.
Komm, folge mir ins dunkle Reich hinab!
(Goethe)

 

Ein dunkles Waldstück, ein „Großes Waldstück“. Dickicht, eine schemenhaft dargestellte Nachtlandschaft in Phtaloblau mit kargen Baumstämmen und dürrem Geäst. In der Ferne eine Lichtung, gleißendes Weiß, das aus der Tiefe des Bildraumes strahlenförmig in den Vordergrund dringt. Das Nachtstück wirkt unheimlich. Intensive Kontraste bestimmen das Bild, sichtbare Grundierungen verleihen ihm etwas Unvollendetes. Licht und Schatten bilden den Rhythmus eines malerischen Staccatos aus offenen Pinselstrichen und einem expressiv-gestischen Farbauftrag. Dieses Landschaftsszenario bildet den Hintergrund für malerische Applikationen: Die Kulleraugen von Ronald Kodritsch, die zahlreiche Arbeiten aus der Serie „In der Frage liegt ein Fehler (Augen)“ schmücken, stellen schelmische Markierungen dar, die in ihrer Beiläufigkeit den Zeichen ähneln, die Graffiti-Künstler auf den Straßen der Metropolen hinterlassen. Im Englischen würde man, wenn man diese Bilder betrachtet, vielleicht sagen: „Add ons on top of it.“ So als hätte sich der Künstler ein Vorbild an Kindern genommen, die Plastikaugen mit kleinen, sich bewegenden Kugeln als Pupillen an die unmöglichsten Orte kleben, um mehr oder weniger Schrecken zu verbreiten. Kodritsch malt sie. Ihrem fazialen Kontext und paarweisen Auftreten entbunden, erinnern sie einerseits an die absurde Kombination von disparaten Gegenständen wie man sie aus dem Surrealismus kennt und den Faible von manchen seiner Protagonisten wie George Bataille, Salvador Dalí und Luis Buñuel für das sehende Organ an der Schnittstelle von seelischer Introspektion und weltzugewandter Außenschau. In dem legendären Schwarzweißfilm „Un Chien Andalou“ von 1929 hat sich die Spannung zwischen Eros und Thanatos, in dem ein Augapfel mit einem Skalpell zerschnitten wird, grausam entladen. Andererseits – und das ist ein wesentlicher Aspekt im Werk von Kodritsch – stehen diese Augen auch für ein künstlerisches Anliegen, das stets eine selbstironische Metaebene wie einen doppelten Boden in die Arbeit integriert. Mokerie auf der Leinwand? So als würde der Künstler das, was er gerade erschaffen hat, mit Augenrollen quittieren. Kein krönender Abschluss, nein – Augen als Fragezeichen. Als körperlose Akteure erinnern sie auch an Mickey Mouse & Co. An die tiefschwarzen Kader der Animationsindustrie, in denen sie die Rolle von isolierten Ausdrucksträgern einnehmen und dem Betrachter aus den simulierten Räumen der Cartoons entgegenblicken, schielen, starren, ihn beobachten und manchmal sogar mit ihm flirten. Sie können auch als Auswüchse eines Voyeurismus gelesen werden, der in einem thematischen Zusammenhang mit Arbeiten des Künstlers wie „Akt und Vollmond“, in der sich eine Frau lasziv in der Natur rekelt, den „Bikinimädchen“, deren natürlicher Schamhaarbewuchs aus den Höschen quellt, und der Serie „Pferd und Frau“, die Anleihen bei Lady Godiva und Peeping Tom nimmt, steht. Diese Bilder, die mit Genderklischees und Chauvinismen spielen, affirmieren Vorwürfe von Vertretern der Political Correctness. In einem überspannten Umfeld des sozialen Reglementierungsdiskurses reizen sie die Gemüter: „Denn es ist nicht förderlich für die Kunst, wenn alles politisch korrekt ist“, meint der Künstler. Er sieht die Freiheit der Kunst, wenn sie für sozialpolitische Themen wie etwa in der Documenta 14 „Learning from Athens“ instrumentalisiert werde, beschnitten: „Ich bin schließlich kein Hofnarr, der sich dem Dienst an der Gesellschaft verschrieben hat.“ Doch die Maschen eines Netzes, das die vorherrschende Selbstverständigungsdebatte gekränkter Identitäten und besserwisserischer Moralverteidiger webt, werden enger: „Die Institutionalisierung von PC als verbindlicher Handlungs- und Sprachanleitung in unverbindlichen Zeiten schreitet voran“, informiert die Lektüre „In Anführungszeichen“ von Matthias Dusini und Thomas Edlinger. Als Gradmesser subjektiver Empfindlichkeit kann man Kodritschs Aluguss „Enschy“, ein im wörtlichen Sinne verstandenes (oder besser gesagt: ausgeführtes) Arschgeweih, heranziehen. Denn beim Anblick dieses wohlgeformten weiblichen Hinterns mit hörnernen Auswüchsen könnte sich schon mal ein Gemüt erhitzen.
Ironische Stilisierungen und übercodierte Symbole wirft Ronald Kodritsch dem Betrachter wie einen Knochen zum Fressen vor – das gilt auch für die Titel seiner Werke. Rätselraten ist angesagt.
Im eingangs geschilderten Beispiel fragt man sich, wo der Fehler ist, der angeblich in der Frage liegt. Die Anspielungen und falschen Fährten, die der Künstler legt, laufen häufig ins Leere. Fehler, die während der Herstellung entstehen, und die Kodritsch, wie er selbst sagt, kultiviert, setzen ein mentales Ping-Pong-Spiel zwischen Werk und Betrachter in Gang. Schüren Zweifel. „Arbeit ist permanentes Scheitern und Zerstörung, Neubeginn“, und: „misslungene Bilder sind ideal zum Weitermalen“. Aus sedimentierter Farbe entsteht so ein Palimpsest. Die Spuren der Vergangenheit manifestieren sich in der Aura des Werkes und bleiben auch im Verborgenen spürbar. Der Dilettantismus, den man Kodritsch unterstellt hat, meint vielleicht auch einen fehlerfreundlichen Umgang mit sich selbst und dem eigenen Œuvre. Sein Handwerk beherrscht der Künstler, der bei Gunter Damisch an der Akademie der bildenden Künste in Wien studiert hat, auf jeden Fall perfekt, unterläuft die gute Malerei aber immer wieder mit Versatzstücken, die in der Tradition der Kunst von Kindern, Geisteskranken oder indigenen Völkern stehen. Er leistet damit einer passionierten Malerei Vorschub, die schon Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller in der klassischen Schrift „Über den Dilettantismus“ auf die knappe Formel „Leidenschaft statt Ernst“ brachten. Bei Kodritsch bildet sich die Leidenschaftlichkeit permanent ab: Es erfreut ihn zu verwerfen, Unvollkommenheiten zu perfektionieren und letztendlich durch Reduzieren zu konstruieren. Der Künstler arbeitet immer wieder mit Vorlagen, eignet sich die Inspirationsquelle malend an und unterzieht sie dann einem Abstraktionsprozess. Die motivische Ausdünnung verhindert die Wiedererkennbarkeit des ursprünglichen Sujets. In der seriellen Wiederholung wie beispielsweise auch in der künstlerischen Selbstbeschreibung „Selbst als Büste“ ergeben sich dann neue Übereinstimmungen. Allianzen von Bild zu Bild. Es entsteht eine Ähnlichkeit mit einem fiktiven Porträt, das kaum etwas mit dem Aussehen des Künstlers gemein hat.
Die Fragen und produktiven Missverständnisse, die Ronald Kodritsch permanent erzeugt, lösen Suchbewegungen aus, provozieren Deutungen und machen Schluss mit einer Lethargie, die einem jahrhundertealten Medium schon mal anhaften kann: „Ich bin offen für alle Interpretationen und finde es interessant zu erfahren, was Menschen – auch ohne Vorkenntnisse – aus meinen Arbeiten herauslesen“, meint Kodritsch. So gilt es, das der Kunst immanente – ihr sowohl sprachliches als auch assoziatives – Potenzial zu heben. Eine ästhetische Hermeneutik als Lockerungsübung jenseits rationaler Legitimation kann neue Wege bahnen. So oder ähnlich fordert es auch der Titel einer Publikation, den der Künstler in handschriftlichen Lettern notiert hat: „Urlaub vom Hirn“. Analog dazu kann man sich den künstlerischen Schaffensakt vorstellen. Denn im besten aller Fälle müsse man in den gestalterischen Prozess „hineinkippen, ins Blaue malen“ und dem intuitiven Gespür Raum geben, so der Künstler. Einen rauschhaften Zustand provozieren und das Denken ausschalten. Wenn das gelingt, zaubert Kodritsch mit dem Pinsel. Wenn er im Zustand der malerischen Ekstase den Kontrollverlust wie von selbst passieren lässt, gibt er dem Zufall eine Chance. Manchmal ist der Alkohol sein Verbündeter, versetzt ihn in den perfekten Bewusstseinszustand, vertreibt Einsamkeit und böse Geister. Im Œuvre von Kodritsch tauchen aber auch immer wieder gute Geister auf, so etwa das Gemälde „Painters little helper“. Das Großformat „Sisters“, das verblüffende Ähnlichkeit mit Richard Gerstls „Die Schwestern Karoline und Pauline Fey“ von 1905 hat, die Flaschengeister und die „Dame in surrealistischem Outfit“, die enthauptet durch den Bildraum schwebt, zeigen Bild gewordene Dämonen. Schreckgespenster, die auf der Oberfläche der Leinwand, beim Formen der Figur und im Angesicht der eigenen Erscheinung ihre ominöse Macht verloren haben. Sie rufen Freud’sche Theorien des Unheimlichen in Erinnerung und verweisen auf eine unsichtbare Welt hinter der bloßen Dinglichkeit und dem alltäglichen Verhaftetsein im Reich der Faktizität. Kodritsch lässt die Wirklichkeit, die aus der Tiefe der Seele aufsteigt, die sich in inneren Abgründen, Ängsten und Wünschen Ausdruck verschafft, erscheinen. Er interessiert sich für das, was uns tief im Inneren plagt, frohlockt und erschaudern lässt. Eine andere Inkarnation bildhauerischer Imagination stellt die Figur „Neue Haut für das alte Feuer“ dar und ist vielleicht, um es mit Arthur Schopenhauer zu formulieren, ein „Versuch über das Geistersehn und was damit zusammenhängt“. Die Skulptur ist eine Mesalliance aus Affenschädel und einer Madonna aus Lourdes, die Kodritsch als kleine Figur in Bronze gegossen hat. Sie erinnert an einen afrikanischen Zaubergegenstand oder ganz allgemein an (para-)religiöse Objekte, die in der schamanistischen Praxis, in Glaubensritualen oder im Ahnenkult angewendet werden. Diese performativen Techniken ergänzen das der Skulptur implizite Bedeutungsspektrum. Eine ungefähr drei Meter große Ausführung hat Kodritsch in Epoxidharz produziert und in Anlehnung an eine mittelalterliche Gepflogenheit – als Schreckgestalten an den Portalen von Kirchen angebracht wurden, um Unheil abzuwehren – vor sein Haus gestellt. Mit dieser apotropäischen Wächterfigur will der Künstler sowohl innere als auch äußere Spukgestalten verjagen – „From haunted by ghosts to Ghostbuster“. Mit der bewussten und unbewussten Verarbeitung von persönlichen Geschichten während des Arbeitsprozesses, dem Bannen und Heraufbeschwören von psychischen Wirklichkeiten begründet Ronald Kodritsch eine Ästhetik, die den Kanon zeitgenössischer Kunstintention auf herausragende Weise erweitert.

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